Der Wert von Stadtgrün - In Zeiten von Wohnungsknappheit, Vereinsamung und Klimawandel

Deutsche (Groß-)Städte und ihre Vororte erleben einen Boom – nicht nur in ihrer Nachfrage als Arbeitsstätte. Auch als Orte zum Wohnen und, insbesondere in Zeiten von Corona, als Räume zum Erholen erfahren sie immer größere Beliebtheit.

So leben hierzulande mehr als drei Viertel aller Menschen in Ballungsgebieten und -randzonen. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Einpersonenhaushalte seit vielen Jahren stark an (Stand 2018: 17,3 Mio.). Das Statistische Bundesamt prognostiziert, dass im Jahr 2040 rund jeder vierte Mensch in Deutschland alleine wohnen wird. Hinzu kommt, dass die Pro-Kopf-Wohnfläche seit Jahrzehnten ansteigt. Lag sie 1990 noch bei rund 35 m2 pro Person, beansprucht der Durchschnittsdeutsche heute mehr als 46 m2 Wohnfläche. Eigentümer zeigen gegenüber Mietern einen erhöhten Flächenbedarf um rund ein Drittel.

Die Konsequenz: Deutschland wird von einer Welle der Urbanisierung erfasst, die die Immobilienpreise in die Höhe schießen und bezahlbaren Wohnraum allmählich schwinden lässt.

Dass jedoch gerade in diesen Zeiten dem Stadtgrün in Ballungsräumen eine wichtige, gesamtgesellschaftliche Bedeutung zuteil wird, zeigen die Ergebnisse einer im Jahre 2016 veröffentlichten Studie, unter der Leitung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung.

Unterschätzter Nutzen

Unter dem Motto: „Das Unsichtbare [der Natur] sichtbar machen“ untersuchten die Autoren der Studie „Naturkapital Deutschland“ den Zusammenhang zwischen den Leistungen der Natur (sog. Ökosystemleistungen), dem menschlichen Wohlergehen und der Wertschöpfung der Wirtschaft in Ballungsgebieten. Denn obwohl der Erhalt der biologischen Vielfalt im urbanen Raum sogar durch das europäische Artenschutzgesetz gesetzlich verankert ist, sprechen sich viele Städte oft „gegen das Grün“ aus. Die Gründe hierfür sind oftmals wirtschaftlicher Natur: Stadtgrün wird insgesamt als Kostenträger gesehen und weniger als Leistungsbringer.

Unterdessen schreitet die Neuausweisung von Siedlungs- und Verkehrsflächen in deutschen Städten weiter voran, wenn auch mit sinkendem Trend seit dem Jahr 2000. Häufig geschieht dies zu Lasten landwirtschaftlich genutzter Fläche oder noch unberührter Natur – fatal, insbesondere in Zeiten von Corona und fortschreitendem Klimawandel.

Wurden zwischen 1997 – 2000 noch rund 129 Hektar Land pro Tag neu ausgewiesen, so sank dieser Wert in den Jahren 2015 – 2018 auf 56 ha.
Mit Blick auf die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, die einen Wert von deutlich unter 20 ha Land pro Tag neu erschlossener Fläche bis zum Jahr 2030 vorsieht und sogar ein Netto-Null-Ziel (sog. Flächenkreislaufwirtschaft) bis 2050 anstrebt, liegt dieser Wert jedoch noch deutlich zu hoch.

Multifunktionale Stadtnatur

Dass Stadtgrün, anders als von vielen Städten angenommen, einen großen Mehrwert für Ballungsgebiete darstellt, und zwar in vielerlei Hinsicht, wird nachfolgend durch die Ergebnisse der Studie verdeutlicht.

Verminderung der Umweltbelastung

Wetterextreme wie Hitzewellen stellen unsere Städte schon heute vor große Herausforderungen und werden sich im Zuge des Klimawandels in Zukunft noch intensivieren. So hängen in Berlin bspw. vier bis fünf Prozent aller Sterbefälle im Jahr mit Hitzebelastung zusammen. Aber auch eine hohe Konzentration von Feinstaub in der Luft sowie Stadtlärm beeinträchtigen die Gesundheit und damit die Lebensqualität von Stadtbewohnern stark.

Vegetationen an Straßen können die Feinstaubbelastung um bis zu fünfzehn Prozent verringern. Gewässer, Parks und Wälder fungieren als Kühleinseln, die nachts die Wärmebelastung deutlich vermindern. Darüber hinaus kann Stadtgrün eine eigene, positive Geräuschkulisse erzeugen, die Stadtlärm erträglicher macht.

Die Ökosystemleistungen fördern damit nicht nur die Gesundheit der Menschen, was letztendlich die Kosten im Gesundheitssystem senkt. Auch wird die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels vorangetrieben.

Förderung der psychischen und physischen Gesundheit

Studien belegen, dass allein der Blick auf Naturelemente mit positiven Wirkungen verbunden ist. Gleichzeitig bieten naturnahe und gestaltete Freiräume Anreize für körperliche Aktivitäten, die sich wiederum gesundheitsfördernd auswirken. So können Stress, Aggressionen und Ängste leichter abgebaut und Konzentrations- und Leistungsfähigkeit besser gefördert werden.

Zudem wirkt sich die Verteilung von Freiflächen im Stadtgebiet positiv auf die Umweltgerechtigkeit aus und liefert damit vor allem einkommensschwachen Personen und Familien, die häufiger Umweltbelastungen ausgesetzt sind, bspw. weil ihre Wohnung an einer stark befahrenen Straße liegt, einen großen Mehrwert, u. a. auch durch die Möglichkeit der sozialen Teilhabe. 

Stärkung des sozialen Zusammenhaltes

Urbane Freiräume bieten nicht nur die Möglichkeit zur individuellen Freizeitgestaltung, sondern erleichtern auch Begegnungen, den interkulturellen Austausch und fördern damit die Vielfalt einer Stadt. Misstrauen und Vorurteile z. B. gegenüber anderen Kulturen können so leichter abgebaut werden.
Partizipative Stadtgestaltung, bspw. in Form von Gartenprojekten, stärkt das Gemeinschaftsgefühl und den Zusammenhalt in der Nachbarschaft und kann so maßgeblich zur Identifikation mit dem eigenen Quartier und der Stadt beitragen.

Kinder brauchen Grün

„Man schützt nur das, was man kennt“ – an diesem Satz ist viel Wahres dran und daher ist insbesondere für Kinder der Zugang zu Naturräumen wie Waldschulen, aber auch Spielplätzen immens wichtig. Die Erfahrungen, die Kinder mit Pflanzen und Tieren machen, beeinflussen ihre Persönlichkeitsentwicklung und sind auch maßgeblich zur Ausbildung eines Umweltbewusstseins, das angesichts des rasanten Verlustes an Biodiversität in Deutschland immer wichtiger wird.

Darüber hinaus sollten die Kleinen bereits früh an das Thema Ernährung und seine Herkunft herangeführt werden und bestenfalls selbst damit in Berührung kommen, bspw. durch das eigene Aufziehen von Gemüse. Nur so können sie einen gesunden und nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln lernen, der gerade in Zeiten des zunehmenden Konsums von industriell gefertigten Speisen und damit verbundenen Krankheiten wie Übergewicht und Diabetes von großer Bedeutung ist.

Grün als Standortfaktor

Auch auf das Image einer Stadt und die dort ansässigen Unternehmen wirkt sich das Stadtgrün positiv aus. Insbesondere für das Anwerben hochqualifizierter Arbeitskräfte spielen neben der allgemeinen Attraktivität einer Stadt, auch sogenannte „weiche“ Faktoren eine Rolle. So können bspw. die Umweltqualität und der Freizeitwert einer Stadt die Entscheidung für oder gegen einen Standort maßgeblich beeinflussen. Auch für Unternehmen kann es demnach ratsam sein, Stadtnatur auf dem Firmengelände zu fördern. Nicht zuletzt steigt durch eine bessere Versorgung mit Stadtgrün der Wert von Immobilien, wie Ergebnisse einer für den Raum Köln durchgeführten Studie aus dem Jahre 2014 zeigen.

Stadtgrün und Wohnungsknappheit – ein Konflikt?

Trotz der vielen Vorteile, die Stadtgrün für die Ballungsgebiete und ihre Bewohner mit sich bringt, stellt sich angesichts zunehmender Wohnungsknappheit, insbesondere von bezahlbarem Wohnraum, die Frage, ob freie Flächen in Ballungsgebieten überhaupt noch vertretbar sind. 

Wir vom IFE e. V. vertreten ganz klar die Auffassung: ja, und das nicht nur aus den oben genannten Gründen.  Statt die „grünen Lungen“ unserer Städte ausnahmslos zu versiegeln und uns damit die Luft zum Atmen zu nehmen und der Flora und Fauna die Lebensgrundlage zu entziehen, müssen bereits vorhandene Ressourcen sinnvoll genutzt werden: Wohnhäuser sollten aufgestockt und leerstehende Gebäude, wenn möglich, saniert werden, sofern dies wirtschaftlich tragbar ist. Nur wenn dem nicht so ist, sollten Gebäude abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Darüber hinaus muss der direkte Dialog mit den Anwohnern gesucht und Überzeugungsarbeit geleistet werden. Bspw. wenn es darum geht, dass Alleinstehende in eine kleinere Wohnung ziehen, um damit Platz zu schaffen für Familien. Auch neue Formen des Zusammenlebens müssen mitgedacht und stärker gefördert werden, wie z. B. das Wohnungsmodell der „Cluster-Wohnung“.

Gleichermaßen muss es langfristiges Ziel sein, die Ballungszentren zu entlasten. Damit das gelingt, müssen die Stadtränder und insbesondere das Land als Wohnorte attraktiver werden. Der rasche Ausbau entsprechender Infrastruktur ist dafür zwingend erforderlich. Dazu gehören neben einer guten Anbindung an den ÖPNV ein sicheres Fahrradnetz, eine ausreichend große Anzahl an Kindertagesstätten, Schulen sowie Einkaufsmöglichkeiten und Arbeitsstätten. Und damit sich das Problem der Wohnungsknappheit von der Stadt nicht einfach auf die ländliche Region verlagert, gilt es auch hier Boden als wertvolle und vor allem endliche Ressource zu begreifen. Der Traum vom Einfamilienhaus sollte weiterhin realisierbar bleiben, allerdings nicht auf Kosten anderer – der Natur eingeschlossen. Dafür sollte sich jeder zukünftige Wohneigentümer ernsthaft die Frage stellen, wie viel Platz er wirklich zum Leben benötigt, und das nicht nur bezogen auf die Wohn– sondern auch die Grundstücksfläche insgesamt:

„Oft fallen mir bei der Schaffung von Neubaugebieten noch heute die gleichen Fehler auf, die schon vor 40 oder 50 Jahren gemacht worden sind: Häufig werden viel zu große Einfamilienhäuser auf viel zu großen Grundstücken erbaut.  Wir müssen dringend umdenken. Die Lebensphase mit Kindern ist im Vergleich zur Lebensdauer eines Hauses sehr überschaubar. Das Resultat ist dann oft: Man lebt nach ungefähr zwei Jahrzehnten dann in viel zu großen Häusern mit viel zu großen Gärten, weil die Kinder aus dem Haus sind,“ so Andreas Hesener, Geschäftsführer des IFE e. V.

Für baureife, aber unbebaute Grundstücke sollten Gemeinden einen höheren Hebesatz, die sogenannte Grundsteuer C, festlegen, wenn auf diesen nicht gebaut wird. Nicht zuletzt beugt dies möglichen Spekulationen vor.

Stadtgrün bedeutet Lebensqualität

Das Stadtgrün im urbanen Raum leistet einen großen und unverzichtbaren Beitrag für Mensch und Tier gleichermaßen. Zukünftig sollten es sich alle deutschen Städte zur Aufgabe machen, das Naturkapital zu sichern und stetig zu fördern. Wie die Ergebnisse der Studie gezeigt haben, ist dies aus gesundheitlichen, sozialen und volkswirtschaftlichen Gründen angebracht und steht in keinem Widerspruch zum Problem der Wohnungsknappheit. Insgesamt bedeutet eine nachhaltige Stadtentwicklung auf ökologischer, ökonomischer und sozialer Ebene Lebensqualität –, nicht nur für die heute in den Städten lebenden Menschen, sondern auch für zukünftige Generationen.

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